Eine kleine Manufaktur lässt in Köln den Mythos der großen deutschen Fahrradmarke „Wanderer“ auferstehen. Wir haben uns für Sie in der Werkstatt an der Stolberger Straße umgesehen.
Wat för en schön Rad! Wo kütt dat dann her? – Uss Kölle. Dieser Dialog, in dem Begeisterung nahtlos übergeht in ungläubiges Staunen, spielte sich in einem Biergarten bei einem gepflegten Kölsch im Schatten des Doms ab. Und das nicht nur einmal während einer ausgiebigen Biergarten-Tour durchs Kölner Umland. Ja, es ist wirklich so: Köln hat nicht nur sein süffiges Bier und den prächtigen Dom, sondern auch eine kleine und äußerst feine Fahrradmanufaktur innerhalb seiner Stadtmauern. In Braunsfeld an der Stolberger Straße entstehen in Handarbeit pro Jahr rund 1000 „Wanderer“-Räder.
Wanderer? Da war doch was? Richtig! Vor allen Dingen den Älteren unter uns ist die Marke mit dem geflügelten „W“ noch ein Begriff. 1885 in Chemnitz gegründet, wurde der Hersteller schnell bekannt für seine äußerst hochwertigen Räder und höchste Qualitätsansprüche. Anfang der 30-er Jahre gehörte das Unternehmen mit 100.000 verkauften Drahteseln pro Jahr zu den größten und renommiertesten deutschen Herstellern. Neben Fahrrädern produzierte Wanderer auch die legendären Continental-Schreibmaschinen, Motorräder und Autos. Übrigens: Der vierte Ring im Audi-Logo steht für Wanderer – Vorsprung durch Technik eben.
Ein Fahrrad für’s Leben
Diesen Mythos vom technisch wie ästhetisch anspruchsvollen Rad, vom „Fahrrad fürs Leben“, haben einige Rad-Besessene rund um den Kölner „Zwei plus zwei“-Geschäftsführer Andreas Gehlen wieder zum Leben erweckt. Die Treffen der „velomobilen Tafelrunde“ sind mit mit Fug und Recht Sternstunden deutschen Zweiradbaus. Gehlen, groß geworden mit dem europaweiten Handel mit Fahrradanhängern, hatte Radler-Urgesteine mit hoher Kompetenz um sich geschart. Mit dabei: Entwickler Hans-Gerd Lanzerath, Rahmenbauer Dietmar Hertel, Industriedesigner Norbert Natteford und Fahrrad-Fachmann Uwe Wöll – um nur einige zu nennen. Das hehre Ziel: wertige und alltagstaugliche Fahrräder, die passen wie ein Maßanzug.
Eineinhalb Jahre arbeiteten alle intensiv am Konzept. Es wurde gezeichnet und konstruiert. Herausgekommen sind drei verschiedene Fahrradtypen: Tourer, Reise- und Sporttourer. Die Preise liegen zwischen 1000 und 3000 Euro. Zugegeben, das ist eine Menge Geld für einen Drahtesel. Nicht billig, aber durchaus sein Geld wert. Denn verbaut werden – wo immer es geht – nur beste Komponenten aus Deutschland und Europa. Die Liste der Zulieferer liest sich denn auch wie das „Who is who“ des modernen Fahrradbaus: Schmidt Original Nabendynamo (SON) mit Edelux-Scheinwerfer – eine bessere Fahrradbeleuchtung ist weltweit nicht zu bekommen. Magura (nein, die Edelbremsen kommen nicht aus Italien, sondern von der Firma Magenwirth Gustav aus Bad Urach) steuert die hydraulischen Bremsanlagen bei, die Sättel sind klassisch aus kernigem Leder und stammen aus der englischen Edelschmiede Brooks.
Jede Menge Luxus, liebevoll komponiert um einen sauberst geschweißten Rahmen. Doch bei allem Sinn für Ästhetik, es sind die „inneren Werte“, die die Räder aus der Domstadt so besonders machen. Insgesamt gibt es 28 verschiedene Rahmen! Die Fachwelt bestätigt denn auch, dass kaum ein Radhersteller so konsequent Rahmen für Mann und Frau mit unterschiedlichen Körpermaßen fertigt. Das Ergebnis lässt sich nur „er-fahren“: Beim Pedalieren stellt sich schon nach wenigen Metern jenes Wohlfühl-Gefühl ein, das man mitunter Mercedes-Limousinen bewundernd nachsagt: Ein-, Entschuldigung, aufsteigen und sich wohlfühlen. Kein Wunder, dass ein Fachblatt-Redakteur bereits vom „Wellness-Rad“ schwärmte. Wanderer-Mitarbeiter Manfred Schulte ist in seinem Element, wenn es um wohl proportionierten Rahmenbau geht: „Es sind komplexe Zusammenhänge, die die Rahmengeometrie und damit das Fahrverhalten bestimmen. Der Rahmenkonstrukteur sollte fast ein Dutzend Parameter im idealen Bereich halten, damit ein ausgewogenes Fahrverhalten entsteht.“
Alles muss passen
Das Ergebnis: Bei Wanderer erhalten Menschen unter 1,73 Meter fast immer Räder mit 26-Zoll-Bereifung – wie bei Mountainbikes üblich. Schulte erläutert, warum das so ist: „Baut man 28-Zoll-Laufräder in kleine Fahrradrahmen, so hat das sicher Nachteile. Zum Beispiel kommt ein kleinerer Mensch nicht mehr gut mit den Füßen auf den Boden – oder die Fußfreiheit zum Vorderrad fehlt, oder der Geradeauslauf wird zu träge.“ Nein, Schulte will die Großserien-Hersteller nicht schelten, aber es geht ihm ums wohlproportionierte Rad, das der Radlerin und dem Radler Freude macht und auf Dauer schmerzfrei zu bewegen ist: „Die Massenhersteller bauen oft nur einen einzigen Grundrahmen und verkürzen einfach das Sattelrohr für kleinere Leute. Die Folge: Die Rahmen verlieren die rechten Proportionen. Das Ergebnis: Man radelt wie ein Affe auf dem Schleifstein.“ Kurze Rechnung: 1000 Räder pro Jahr geteilt durch 28 unterschiedliche Rahmen. Manfred Schulte unterbricht das Kopfrechnen: „Jeder Rahmen wird im Schnitt nur drei Dutzend mal pro Jahr gebaut. Finden Sie mal einen Rahmenbauer, der sich auf so eine kleine Stückzahl einlässt.“
Ja, die Domstädter Radbauer gehen keine Kompromisse ein. So ist die Lackierung eine aufwändige Pulverbeschichtung, die den Rahmen mit einer feinen Kunststoffhaut überzieht. Ecken und Kanten sind so perfekt geformt, dass der Lack wirklich überall satt hinkommt. Jede Schraube wird per Hand gefettet, bevor sie ins Gewinde gedreht wird. Kein Zweifel, hier sind Fanatiker im besten Sinne am Werk. Wie Manfred Schulte: „Hier sind Fahrrad-Enthusiasten am Werk, die sich dem Mythos der alten Marke verschrieben haben.“ Spricht’s und nimmt wie zum Beweis eine Sattelklemme zwischen Zeigefinger und Daumen. Deren Mutter ist aufwändig frei gelagert, damit sich die Schraube beim Anziehen nicht verbiegen muss. Oh ja, diese Wanderer-Jungs aus Braunsfeld sind Perfektionisten bis ins Detail!
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