Fahrradfreundliche Städte – Wunsch oder Wirklichkeit?

Die Städte Kempen und Krefeld haben kürzlich einen Verlängerungsantrag für die Mitgliedschaft in der AGFS, der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW e.V., gestellt.

Die 72 Städte, Gemeinden und Kreise in der AGFS haben sich bei ihrer Aufnahme mit einer politischen Grundsatzentscheidung verpflichtet, bei Konflikten in der Verkehrsplanung zugunsten des nichtmotorisierten Verkehrs zu entscheiden. Gleichzeitig dürfen auch die Interessen der Fußgänger nicht vernachlässigt werden. Der umfangreiche Katalog der Aufnahmekriterien kann auf der Webseite der AGFS (www.agfs-nrw.de) eingesehen werden. Wie sich die Rad- und Fußverkehrsförderung entwickelt, müssen die AGFS-Mitglieder alle sieben Jahre mit einem Verlängerungsantrag dokumentieren. Neben einer Erfolgsbilanz nennt der Antrag auch die zukünftigen Schwerpunkte.

Christine Fuchs, Vorstand der AGFS (Foto: Martina Leymann)

Christine Fuchs, Vorstand der AGFS (Foto: Martina Leymann)

Aus Anlass der Verlängerungsanträge von Kempen und Krefeld hat die Redaktion von Rad am Niederrhein einige Fragen an den Vorstand der Arbeitsgemeinschaft, Frau Christine Fuchs gestellt:

Sehr geehrte Frau Fuchs, wie kam es zur Gründung der AGFS und wer waren die Gründungsmitglieder?

Das Land NRW kann auf eine lange Fahrradfördertradition zurück blicken. Bereits Ende der 80 Jahre wurde ein Förderprogramm des Landes zur Förderung des Radverkehrs ins Leben gerufen. Daran beteiligten sich 13 Städte. Aus dieser Städtegemeinschaft gründete sich 1993 die AGFS.
Folgende Städte waren die Gründungsmitglieder:Brühl, Gladbeck, Hamm, Herford, Köln, Krefeld, Lünen, Marl, Münster, Pulheim, Soest, Troisdorf und Unna.

Welche Voraussetzungen müssen potentielle Mitglieder erfüllen, um Mitglied in der AGFS zu werden?

Die Kriterien sind auf unserer Internetseite ausführlich dargestellt. Wichtig ist, dass die kommunalpolitische Zielsetzungen unseren Zielen entsprechen, die Prioritätensetzung zur Nahmobilität ablesbar ist, eine fußgänger- und fahrradfreundliche Infrastruktur besteht sowie Service- und Kommunikationselemente für Nahmobilität mit Qualität bestehen.

Welchen Nutzen haben die Städte, Gemeinden und Kreise durch ihre Mitgliedschaft?

Die AGFS fördert die Vernetzung der Mitglieder und unterstützt aktiv den Wissensaustausch. Wir betreiben mit und für unsere Mitgliedskommunen offensive Werbung für die Nahmobilität. Ganz nach dem Motto: zentral entwickeln, lokal einsetzen (Kampagnen, Broschüren, Handreichungen, Flyer und vieles mehr). Wir entwickeln darüber hinaus kreative und zukunftsweisende Ideen zu allen infrastrukturellen, technischen und kommunikativen Fragen der Nahmobilität und wir betreiben Lobbyarbeit bei Kommunen, Land, Bund und Verbänden.

Laut Satzung der AGFS wird bei Aufnahme eines neuen Mitglieds automatisch die Eigenschaft „“Fußgänger- und  Fahrradfreundliche Stadt / Gemeine / Kreis“ zuerkannt. Sind das nicht zu viel “Vorschusslorbeeren”?

Die Städte, Gemeinden und Kreise müssen das Prädikat „Fußgänger- und Fahrrad-freundliche Stadt, Gemeinde oder Kreis“ erwerben. Dies erfolgt durch eine unabhängige Prüfungskommission. Vorsitzender dieser Prüfungskommission ist Herr Hilser, Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Landestags. Der Minister vergibt das Prädikat, welches gleichzeitig wiederum Voraussetzung ist für eine Mitgliedschaft in der AGFS. Die Verleihung des Prädikats und die Aufnahme in die AGFS erfolgen dann zeitgleich.

Die AGFS hat Broschüren zu den Themen fahrradfreundliches Baustellenmanagement, Fahrradparken und Querungshilfen für den Radverkehrs veröffentlicht. Leider werden diese Empfehlungen selbst in den Mitgliedsstädten viel zu selten berücksichtigt. Wie wollen Sie zukünftig erreichen, dass die AGFS-Publikationen im städtischen Planungsalltag stärkere Beachtung finden?

Viele Kommunen haben Finanzprobleme und müssen die Verwendung ihrer Mittel sehr genau planen. Die AGFS versucht die planerischen und politischen Entscheider einer Kommune zu überzeugen von dem überragenden Nutzen von mehr Nahmobilität -mit Broschüren, Kongressen und vor allem mit unseren Politikforen.

Viele Mitgliedsstädte haben die bereits in der StVO-Novelle von 1997 geforderte systematische Modernisierung ihres Radwegenetzes noch nicht durchgeführt oder zumindestens noch nicht abgeschlossen. Wird es dafür seitens der AGFS Arbeitshilfen geben?

Der Umgang mit diesem Thema wird vor Aufnahme und auch bei den Verlängerungsanträgen einer Kommune geprüft. Seitens der AGFS wurde für die lokale Nutzung bzw. Anwendung in den Kommunen in Abstimmung mit dem Land ein einheitliches Faltblatt entwickelt zur Radwegebenutzungspflicht.

Halten Sie es für sinnvoll und machbar, für AGFS-Mitgliedsstädte die regelmäßige Erhebung des Radverkehrsanteils (Modal Split) oder gar ein objektives Städteranking einzuführen?

Der erste Schritt war vor einigen Jahren die Erarbeitung einer einheitlichen Methodik zur Modal Split Erhebung. Diese wurde seitens des Landes eingeführt. AGFS-Mitgliedskommunen können sich die Erhebung mit dieser Methode vom Land fördern lassen. Jedes Jahr führen weitere Mitglieder diese Erhebung durch. Ziel dieser Einheitlichkeit ist auch eine spätere Vergleichbarkeit.

Welche neuen Aktivitäten und Veröffentlichungen sind seitens derAGFS-Spitze gerade in Planung?

Wir erarbeiten zur Zeit die Basisbroschüre Fußgänger, wir entwickeln einen Animationsfilm zum Thema Transformation eines Straßenraums für mehr Nahmobilität in den Städten und einer bewegungseinladenden Infrastruktur, bis Februar soll die Leitbildbroschüre Bewegungsaktivierende Räume/ Infrastruktur vorliegen und vieles mehr. Es gibt viel zu tun und genau deshalb setzen wir Schwerpunkte. Der Schwerpunkt zur Zeit besteht allgemein darin, das Thema Nahmobilität als Basismobilität mit dem Thema Gesundheit und Bewegung zu kombinieren. Ziel muss es sein, eine Infrastruktur in unseren Städten zu schaffen, die bewegungseinladend ist.

Die AGFS im Internet: www.agfs-nrw.de

 

Nach Einschätzung des ADFC werden die Angebote und Planungshilfen der AGFS in Krefeld, immerhin einem Gründungsmitglied, zu wenig genutzt. Das hat nur teilweise etwas mit der schwierigen finanziellen Situation zu tun. Die Modernisierung des teilweise veralteten Radverkehrsnetzes ist zweifellos eine Herkulesaufgabe. Ruhrgebietsstädte wie Duisburg und Oberhausen stehen aber finanziell auch nicht besser da und sind inzwischen in Sachen Fahrradverkehr auf der Überholspur. Gradmesser für die Fahrradfreundlichkeit einer Stadt sind schon lange nicht mehr die gebauten Radwegkilometer. Im letzten Fahrrad-Klimatest des ADFC lagen die Städte vorne, in denen man mit dem Rad schnell und komfortabel, ohne unnötig lange Wartezeiten an Ampeln, ohne Umlaufgitter und ohne holprige Bordsteinkanten zum Ziel kommt. Kleinere Städte wie Kempen tun sich aufgrund der geringeren Entfernungen, aber auch kürzerer Entscheidungswege bei der Priorisierung des Fahrradverkehrs natürlich leichter.

Die Mitgliedschaft in der AGFS ist keine Garantie für gute Noten in der Pflicht (Umsetzung der StVO-Novelle von 1997 mit kritischer Überprüfung der angeordneten Radwegebenutzungspflichten) oder der Kür (Innovative Lösungen zur Fahrradförderung). Die Nutzung der vielfältigen Angebote und Hilfestellungen der AGFS ist freiwillig. Entscheidend ist eine verkehrs- und haushaltspolitische Weichenstellung in den Mitgliedskommunen, die die Belange der nichtmotorisierten Verkehrs angemessen berücksichtigt. Dazu gehört auch eine gute Koordination der Verwaltungsbereiche für Planung, Tiefbau, Grünflächen und Ordnung. Zeigen sich dabei über einen längeren Zeitraum Defizite, muss die Landesregierung als Förderungsgeber die kommunale Praxis kritisch hinterfragen. So wichtig die regelmäßig durchgeführte Analyse der Unfallzahlen ist – als Meßlatte für die Fahrradfreundlichkeit einer Stadt reicht sie nicht aus. Sie sollte ergänzt werden durch eine regelmäßige und standardisierte Messung der Fahrradnutzung, um Defizite, aber auch Potentiale aufzudecken. Solange sich die AGFS-Mitgliedsstädte keinem unabhängigen Benchmarking unterziehen, bleibt der ADFC-Fahrradklimatest ein zwar subjektiver, aber wichtiger Pulsmesser für die Fahrradfreundlichkeit – sowohl für die Bürger als auch für Verwaltung und Politik.

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Ausgabe 3 / 2014, Verkehr veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

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