Pädagogische „Mucki-Bude“ rund ums Rad

P1020906_960In der Dormagener Förderschule am Chorbusch betreiben Schüler mit dem Düsseldorfer Sozialpädagogen Rudi Presse eine eigene Fahrrad-Werkstatt.

P1020875_960Gut gelaunt kommt Philipp mit seinen Kumpels in „seine“ kleine Fahrradwerkstatt. Sie begrüßen den „Chef vom Ganzen“ und ziehen sich erst einmal ihre Arbeitsklamotten an. Dann hievt der 16-jährige Dormagener „with a little help of his friends“ ein Fahrrad auf den Montageständer. Hinterrad und Schaltung müssen justiert werden. Unter Anleitung vom „Cheffe“ erledigt er den Job – und lernt gleichzeitig eine Menge dabei.

Sie werden es schon bemerkt haben: Wir befinden uns nicht in der Werkstatt eines Rad-Fachgeschäftes. Diese Werkstatt ist etwas besonderes: sie befindet sich in der Förderschule am Chorbusch in Dormagen. Eingerichtet hat sie der Sozialpädagoge Rudi Presse vor etwa zehn Jahren. Damals gab es Euro Anschubfinanzierung von der Europäischen Union. Heute ist der 56-jährige stolz darauf, dass sich das kleine Unternehmen auf dem Schulgelände selbst finanziert aus den Einnahmen der Kunden, die ihre Räder zu Pflege und Wartung vorbeibringen. Kette wechseln kostet zwei Euro, Reifen flicken vier Euro – plus Materialkosten versteht sich. Rudi Presse: „Manch einer aus der Hackenbroicher Nachbarschaft bringt sein Rad vorbei, weil es im Ort selbst kein Fahrradgeschäft gibt.“ Die Öffnungszeiten: montags 11 bis 12.30 Uhr, mittwochs 12-15 Uhr.

Gefragte Jobs, wie in einer Firma

Die neun Jungen zwischen 13 und 17 Jahre – Mädchen haben in diesem Alter offensichtlich andere Interessen – betrachten die Fahrradwerkstatt als ihre Firma. Mit Recht, denn wer mitmachen will, muss sich vorher ordentlich bewerben und dann eingestellt werden. Das Beste für die Jungs: Es gibt einen Euro Stundenlohn! Der Leiter sieht aber noch andere, wichtigere Vorteile: „Im geschützten Bereich Schule lernen die Jugendlichen hier das Berufsleben kennen und können ihre praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten ausbauen. Auch wenn hier viele Kinder klassische Lernschwierigkeiten haben, so sind sie gerade handwerklich wirklich begabt. Obendrein erwerben sie Schlüsselqualifikationen wie Zuverlässigkeit, Selbstständigkeit, Sorgfalt, Sauberkeit und Teamfähigkeit. Das ist alles wichtig, um später die Chance auf einen Job zu haben.“

Handwerliches lernen

Der Sozialpädagoge und begeisterte Radfahrer geht voll auf in der Arbeit mit den jungen Leuten. Und gemeinsam sind sie mit ihren Aufgaben gewachsen. Philipp erklärt das so: „Reifen flicken konnte ich schon vorher. In der Zeit hier habe ich eine Menge rund ums Fahrrad gelernt. Einen Bremszug zu wechseln ist für mich heute kein Problem mehr.“ Sein Können und Wissen gibt er gerne an die jüngeren weiter, die nachrücken. Keine Frage, so entsteht Selbstbewusstsein.

Handwerkliche Fähigkeiten ausbilden, sich einbringen im Team, der freundliche Umgang mit Kunden, etwas Sinnvolles tun, etwas schaffen – die schulische Fahrradwerkstatt wirkt wie eine pädagogische ‚Mucki-Bude’. Schulleitung, Lehrerkollegium und Eltern – alle stehen dahinter. Auch das Dormagener Fahrradgeschäft Boecker, das gebrauchte Fahrräder überlässt und bei Ersatzteilen einen Sonderpreis einräumt.

Die Werkstatt nützt auch anderen

Wem Gutes widerfährt, der hilft auch gerne anderen. Manch ein Migranten-Kind hat – aus ausgeschlachteten Rädern zusammengebaut – von den Jungs seinen ersten eigenen Drahtesel bekommen. Und auch für die Fahrradprüfung mit der Polizei hält die Schul-Werkstatt einen verkehrsgerechten Fuhrpark bereit, denn nicht jedes Kind in Hackenbroich hat ein eigenes funktionstüchtiges Bike. Rudi Presse weiß warum: „Wenn du hier in einem Hochhaus wohnst und dein Rad im Gemeinschaftskeller abstellen musst, dann hast du nie ein verkehrssicheres Vehikel. Irgendetwas fehlt immer.“

Nicht in der Schul-Werkstatt. Im Laufe der Jahre ist ein stattliches Arsenal an gutem Werkzeug zusammengekommen. Eben alles, was der geübte Schrauber so braucht. Ein Arbeitsmittel der ganz besonderen Art gibt es jedoch nur hier in der Fahrradwerkstatt der Förderschule am Chorbusch: die heilige Zange. Und wehe, die benutzt jemand zu etwas anderem als Bowdenzüge abzuknipsen …

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In Rudi Presses Werkstatt geht es auch kreativ zu, pfiffige Ideen sind willkommen. Dabei kommt zum Beispiel so ein Tennisball-Rad heraus – wenn das mal nicht pannensicher ist!

 

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