Hände vom Lenker?

Was ist denn so besonders am „selbstfahrenden Auto“? – fragt sich unter Autor. Eigentlich können wir Radfahrer das schon lange, und auf einem anderen Gebiet sind wir die ersten.seit vielen Wochen beherrscht das „selbstfahrende Auto“ die Schlagzeilen. Videos kursieren im Internet, die wie von Geisterhand bewegte Autos zeigen, hinter deren Lenkrädern mit stolz geschwellter Brust Ingenieure mit demonstrativ verschränkten Armen sitzen. In seitenlangen Interviews erzählen Automanager von ihren  auto-erotischen Träumen, von der Freiheit in der rollenden Blechdose, endlich das während der Fahrt zu tun, worauf man a) Lust hat und was einem b) wichtig ist. Selten so
viel schonungslose Offenheit auf Manager-Ebene erlebt. Man könnte fast glauben, Deutschlands führende Diener im Tempel des Heilig’s Blechle fänden Autofahren unisono
ziemlich doof. Von wegen Freude am Fahren für freie Bürger!

Aber vielleicht soll der Überschwang der Gefühle beim Gedanken ans selbstfahrende Auto nur davon ablenken, dass bereits der erste große Traum – nämlich der von
der Elektromobilität – irgendwie geplatzt ist. 1.000.000 E-Autos auf deutschen Straßen bis 2020? Das wird nix, denn so viele können der amerikanische Hersteller Tesla oder auch japanische Wettbewerber beim besten Willen nicht liefern. Denn aus deutscher Produktion tröpfelt nur ein dünnes Rinnsal Elektromobile. Ein Grund: Die unbändige Freude am großen Geld, das sich nun mal leichter mit Verbrennungsmotoren auf vier Rädern verdienen lässt.

Was die Autoindustrie beim E-Auto nicht geschafft hat, wurde beim Fahrrad längst erreicht: Eine halbe Million E-Bikes verändern die Mobilität nachhaltig im ganzen Land. Auch komfortorientierte Menschen entdecken nun das Radfahren für sich, und hügelige Regionen, in denen das Fahrrad bisher nur Sportgerät war, erleben einen neuen Fahrrad-
Boom. Die Wachstumsraten lassen den Fahrradhandel träumen. Auch ohne Abwrackprämie und andere versteckte Subventionen.

Und wie sieht’s aus beim Fahren ohne Hände am Lenker – nichts anderes ist das selbstfahrende Auto ja. Bei Lichte betrachtet ist das gute alte Fahrrad auch hier seit vielen Jahrzehnten der maßgebliche Vorreiter. Und wir alle die Pioniere und „fi rst mover“ – wie das heute auf Neudeutsch heißt. Oder wer hat noch nie im jugendlichen Überschwang der Gefühle beide Hände vom Lenker genommen? Und dabei die wahre Freude am Fahren tief in sich gespürt, wenn geheimnisvolle Kreiselkräfte der genialen Mensch-Maschinen-Kombination Flügel verleihen. In solchen Momenten hält niemand
etwas anderes für wirklich wichtiger oder lustvoller.

Dieser Beitrag wurde unter Ausgabe 3 / 2015, Panorama veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert