Wind of change and chances

„Das Diktat des Autos ist nicht die Zukunft“
Neue Planungsdenke bei Politik und Verwaltung?

Es tut sich was in Mönchengladbach. Erstmals werden auf einer Hauptverkehrsachse Aufstellflächen für Fahrradfahrer vor dem KFZ-Verkehr eingerichtet.
Eine Signal von vielen.


Die Tageszeitung an einem Morgen im Januar 2016. Der Leser reibt sich ungläubig die Augen: „Das Diktat des Autos ist nicht die Zukunft, der Verkehr soll nicht verbannt, aber verringert werden. Das Zentrum muss gut erreichbar bleiben – auch für den Fahrradfahrer und den Fußgänger, ob alt oder jung.“ – Das steht da schwarz auf weiß als Zitat eines leitenden Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Nur zwei Jahre nachdem der Slogan „Die autofreundliche Stadt“ auf Wink von oben und unter meidenwirksamen Protesten eines unbelehrbaren Citymanagers von stadtbezuschussten Plakaten verbannt wurde.

Mit Rückenwind fährt es sich leichter, eine bekannte Tatsache, die Fahrradfahrer in Mönchengladbach aktuell auch im politischen Umfeld wahrnehmen.

Der in der Zeitung Zitierte heißt Dr. Gregor Bonin, wurde vor wenigen Monaten Baudezernent und hat kürzlich dafür gesorgt, dass sein Dezernat nun „Planen, Bauen, Mobilität und Umwelt“ heißt. Das alles wäre keine Nachrichtenzeile wert, aber der staunende Leser hält die Mönchengladbacher Ausgabe der Rheinischen Post in Händen.

Mönchengladbach – tatsächlich bewegt sich etwas in der Stadt. Nicht nur weil Norbert Krauses 200-Tage-Projekt just und hochverdient den Deutschen Fahrradpreis abgeräumt hat, nicht nur weil sich der neue Dezernent schnell auch die Zuständigkeit für „Verkehr“ (neudeutsch „Mobilität“) auf die Fahne geschrieben hat – sondern vor allem, weil an der Basis, weil in den Köpfen vieler hier lebenden und arbeitenden Menschen ein Umdenken stattgefunden hat.

Da nehmen beachtliche 1.200 Fahrradfahrer an der lokalen Sternfahrt teil, da startet die Volksbank ein Spendenprojekt für eine besondere Fahrradroute (siehe Beitrag „car is king“) – und in den kommunalen Gremien wird plötzlich Verkehrswege-Planung in ungeahnter Qualität beraten.

In Rheydt-Mitte kommt die Anregung zum fahrradgerechten Ausbau der Gracht-Zoppenbroich-Verbindung von CDU und SPD zum Zug. Im Westend schaffen es die städtischen Planer die Burggrafen- und Markgrafenstraße sinnvoll umzugestalten. Fahrradfahrer finden dort nach dem Ausbau ordentliche Schutzstreifen in regelgerechten Breiten und an einigen Ampeln Aufstellflächen vor dem KFZ-Verkehr, wie sie die Stadt auf einer Hauptverkehrsachse noch nicht gesehen hat. Trotz Reduzierung von Parkplätzen (!) gelingt diese Planung in Harmonie mit den Anliegern. Ein Sieg transparenter Kommunalpolitik, nicht zuletzt, weil führende Köpfe der Bezirksvertretung Nord früh und stetig mit den Bürgern geredet haben.

Na ja, im konservativem Eicken läuft nicht alles Bestens, bei der Planung der neuen Künkelstraße hakt es. Die Bezirksvertretung streicht die Beratung über Nacht von der Tagesordnung. Trotz bald fertigem neuen Nordring setzen das wenige Bedenkenträger durch, die sich Fahrrad-Schutzstreifen auf „ihrer“ B57 nicht vorstellen können. Ein paar Wochen später winkt der Planungsausschuss die vakante Verwaltungsvorlage aber einfach durch.

In diesem Frühjahr werden in Gladbach weitere Einbahnstraßen in Gegenrichtung für den Radverkehr freigegeben. Eine überfällige Maßnahme, die der Gesetzgeber bereits 2009 verordnet hat. So etwas dauert, die geforderte Einzelfallprüfung in Abstimmung mit Polizei und Ordnungsamt nimmt unfassbar viel Zeit in Anspruch und belastet die projektführenden Planer erheblich. Ganze Stadtteile konnten noch gar nicht beackert werden, von Hardterbroich über Hermges bis Holt fehlen weiterhin etliche Zusatzschilder Radfahrer frei.

Hauptverkehrsachse mit Austellfläche für Fahrradfahrer (rote Pfeile), Burggrafenstraße/Marktgrafenstraße Quelle; Ratsinformationssystem der Stadt Mönchengladbach, Stand 30.09.2015

Hauptverkehrsachse mit Aufstellflächen für Fahrradfahrer (rote Pfeile), Burggrafenstraße/Marktgrafenstraße
Quelle: Ratsinformationssystem der Stadt Mönchengladbach, Stand 30.09.2015

Auch die gesetzlich vorgeschriebene Aufhebung der Benutzungspflicht von baulichen Radwegen muss für jedes Straßenstück detailgenau geprüft werden. Auf etlichen Abschnitten im Stadtgebiet wurden die blauen Schilder schon abgebaut, aber nicht überall durchgängig. Das Ergebnis sind Strecken, auf denen mal Radwegpflicht besteht, mal nicht, ein unsäglicher Zustand, nicht im Sinne des Gesetzgebers und nicht im Sinne der Sicherheit des Radverkehrs.

Trotzdem weht ein neuer Wind für den Radverkehr in Mönchengladbach. Mit den Ideen zur City Ost wird von Lokalpolitikern erstmals öffentlich ein Radschnellweg diskutiert. Vom Hauptbahnhof zur S-Bahn-Station Lürrip und – vielleicht – irgendwann weiter in beide Richtungen entlang am Gladbachtal. Wann der kommt, und ob es denn „ein Radschnellweg oder nur ein schneller Radweg“ wird, wie es ein städtischer Planungsingenieur auf Nachfrage während einer Präsentation der KPV (Kommunalpoliti- schen Vereinigung) formulierte – the answer is blowing in the wind.

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