Die Reduzierung innerörtlicher Kfz-Geschwindigkeit ist ein grundsätzliches Steuerungselement um den Straßenverkehr in unsere Kommunen, vor allem für die schwächeren Verkehrsteilnehmer, sicherer zu machen.
Tempo-30-Zonen sind ein wichtiger Bestandteil städtischer Verkehrskonzepte, die
Sicherheit, Lebensqualität und Umweltfreundlichkeit im Straßenverkehr verbessern. Doch es gibt Widerstände.
Die Geschichte von Tempo 30 reicht zurück bis in die 1960er Jahre, als die ersten Geschwindigkeitsbegrenzungen innerhalb von Ortschaften eingeführt wurden, um Unfälle zu reduzieren und die Lebensqualität in städtischen Gebieten zu erhöhen. Vorreiter waren – wen wundert es – niederländische Städte wie Amsterdam und Groningen.
In Deutschland begannen die Bestrebungen zur Einführung von Tempo-30-Zonen Anfang der 1970er Jahre. Die Stadt Kassel führte 1971 als erste deutsche Stadt eine flächendeckende Tempo-30-Zone in der Innenstadt ein.
Bundesweite Regelwut
Erst fünf Jahrzehnte später forderte das EU-Parlament die Kommission und Mitgliedstaaten mit seinem Beschluss vom 06.10.2021, sich für eine Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde in Wohngebieten und auf allen Straßen, wo besonders viele schwächere Verkehrsteilnehmende unterwegs sind, einzusetzen.
In Deutschland bestimmen Bundesgesetze die Regelgeschwindigkeit auf unseren Straßen,
und die ist innerorts noch immer auf 50 km/h fixiert. Für die Städte, Kreise und Gemeinden bedeutet dies, dass die Anordnung von Geschwindigkeitsbegrenzungen strikten Regelungen unterliegt.
§ 45 der Straßenverkehrsordnung (StVO) gilt unverändert, sodass Behörden immer noch das Vorliegen einer konkreten Gefahrenlage handfest beweisen müssen, um die Anordnung von Verkehrszeichen, sogar Zebrastreifen oder Geschwindigkeitsbegrenzungen zu rechtfertigen.
Zwingend geboten ist Tempo 30 im Bereich sozialer Einrichtungen wie Kinder-
gärten, Schulen, Seniorenwohnstätten, Spielplätzen und Krankenhäusern und zum Lärmschutz gemäß der Umgebungslärmrichtlinie der EU von 2002. Beide Regelungen können auch auf Vorrangstraßen angeordnet werden. Darüber hinaus dürfen Kommunen Tempo 30 nur auf Nebenstraßen und in reinen Wohngebieten einrichten.
Flickenteppich
Das führt vielerorts zu einem nervigen Flickenteppich unterschiedlicher Geschwindigkeitsvorschriften, mancherorts wechseln Tempo-Schilder auf wenigen 100 Metern mehrfach.
Längst fordern fast 900 Kommunen von der Bundesregierung etwa die verstärkte Einführung von Tempo-30-Zonen, und der Bundestag beschloss dazu auch die Änderungen der Straßenverkehrsgesetze, Aber der Bundesrat verweigerte im November 2023 seine Zustimmung. Nun soll der Vermittlungsausschuss einen Kompromiss erarbeiten.
Fortschrittliche Kommunen werden zunehmend verklagt und so hat das Verwaltungsgericht in Düsseldorf im Juni 2023 einem Meerbuscher Bürger recht gegeben, der gegen dortige Verkehrsregelungen geklagt hatte. Laut dem Urteil fehlen die nötigen Gefährdungspunkte, die Voraussetzung für die Einrichtung einer Tempo-30-Zone sind: „Diese dürfen nur bei engen, unübersichtlichen Straßenverhältnissen eingerichtet werden, oder auch an Stellen mit erhöhtem Unfallrisiko. Zudem liegen auch öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten nicht in ausreichender Nähe“. Dies, obwohl in einem der Fälle eine Kindertagesstätte nur rund 60 Meter entfernt liegt.
Zwar hob das Oberverwaltungsgericht Münster das Urteil in einer Eilentscheidung wieder auf, weil der mKläger die Anfechtungsfrist nicht eingehalten habe, aber in der Hauptsache wurde noch nicht entschieden.
Thekenstimmung
Auch in Mönchengladbach geht gerade ein Anwohner einer vielbefahrenen Durchgangsstraße nun gerichtlich gegen eine Tempo-30-Anordnung vor. Dass Jahre früher eine starke Bürgerinitiative Tempo 30 genau auf dieser Straße vehement gefordert hat, ist wohl ein Treppenwitz der Geschichte. Die Klage wurde beim Verwaltungsgericht Düsseldorf eingereicht und noch nicht entschieden.
Derweil quellen die Leserbriefseiten der lokalen Zeitungen über mit Kommentaren vorwiegend von Autofahrern, die sich die ungehemmte „Freie Fahrt für freie Bürger“
zurückwünschen. Nur wenige erinnern an Sicherheitsaspekte für die schwächeren Verkehrsteilnehmer, an Umwelt- oder Lärmschutz. Die Stammtischmehrheit bestimmt die öffentliche Meinung und wird von interessierter politischer Seite kräftig würzend unterstützt.
Ebenfalls in Mönchengladbach beklagt ein einzelner Anwohner seit 2017 die erste Fahrradstraße „Blaue Route“ und klagt seitdem in diversen Schriften gegen die Verwaltung. Dass Fahrradstraßen fast immer mit der Einschränkung „Anlieger frei“ eingerichtet werden, ist aus Sicht der Radfahrenden durchaus lästig, aber kaum zu ändern, denn das Recht der Bewohner, ihr Heim per Auto zu erreichen, kann nicht ernsthaft völlig eingeschränkt werden.
Fahrradstraßen
Die Vorteile von Fahrradstraßen gegenüber 30er-Zonen sind jedenfalls erheblich, denn auch da gilt 30, aber an Kreuzungen darf kein rechtsvor-links gelten und zu Längsparkern muss ein Sicherheitsabstand markiert werden. Diese Regeln scheinen in manchen Kommunen mit vor vielen Jahren eingerichteten Fahrradstraßen gänzlich unbekannt zu sein, was dort niemanden stört, obwohl es eigentlich rechtswidrig ist.
Erhöhung der Verkehrssicherheit
Die Einführung von Tempo-30-Zonen trägt in der Tat signifikant zur Verbesserung der
Verkehrssicherheit bei, insbesondere für Menschen, die per Rad oder zu Fuß unterwegs sind. Die Aufprallwucht ist bei Tempo 50 ein Vielfaches höher als bei Tempo 30. Bei 50 km/h sterben acht von zehn Menschen, oder werden schwerstverletzt. Bei Tempo 30 sind das „nur“ noch zwei von zehn – leider immer noch viel zu viel. Ein Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion allzu oft völlig vernachlässigt wird.
Der Zeitverlust durch eine 20 km/h geringere Geschwindigkeit ist innerstädtisch marginal, bei idealen Bedingungen mal gerade eine Minute auf einem Kilometer. In der Praxis reduziert sich diese Minute gegen null, weil Ampeln, Ein- oder Ausparker, querende Fußgänger oder haltende Busse Autofahrende eh ausbremsen. Außerdem haben neuste Studien bewiesen, dass Tempo 30 den vielbeschworenen Verkehrsfluss eher fördert.
Lärmminderung
Tempo 30 spielt zudem eine entscheidende Rolle bei der Lärmreduzierung, was für die Lebensqualität der Anwohner als auch für Radfahrende und zu Fuß Gehende von Vorteil ist. Dabei ist längst nicht mehr das Dröhnen von Motoren entscheidend, sondern die Laufgeräusche der Reifen auf dem Boden. Durch die Reduzierung der Geschwindigkeit sinkt der Lärmpegel auf den Straßen erheblich, was zu einer ruhigeren und angenehmeren Umgebung führt.
Besserung der Luftqualität
Auch auf die Luftqualität hat die Einführung von Tempo 30 positive Auswirkungen. Die Emission von Schadstoffen wie Stickoxiden und Feinstaub wird reduziert, letzterer vor allem durch den markant geringeren Abrieb an Reifen und Fahrbahn. Ein wichtiger Beitrag zur Schaffung einer umweltfreundlicheren und gesünderen Stadtlandschaft.
Sicherheit geht (eigentlich) vor
Offensichtlich ist nicht in den Köpfen vieler Mitmenschen angekommen, dass seit 2021 die
wichtige Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) in ihrem § 1 dies bestimmt: „Oberstes Ziel ist … die Verkehrssicherheit. Hierbei ist die „Vision Zero“ (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden) Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen.“
Man darf also durchaus kritisch hinterfragen, ob das Festklammern der Bundespolitik an den Regelgeschwindigkeiten aus Kaisers Zeiten, uneingeschränkt rechtens ist.
Unzählige Kommunen haben das längst verstanden. Leider richten aber zu wenige davon Tempo-30-Zonen und Fahrradstraßen so ein, dass Autofahrende die Grenzen auch einhalten. Verkehrsberuhigte Zonen ohne unterstützende bauliche Maßnahmen wie Verengungen, Drempel oder modale Filter, haben nicht die gewünschte Wirkung. Vor allem, wenn Ordnungsbehörden aus Personalmangel die Einhaltung der Geschwindigkeiten kaum kontrollieren können,
- Einfluss des Lärms auf psychische Erkrankungen des Menschen (Studie des Umweltbundesamtes)
- Vekehrssicherheitsrat NRW