Ein Kommentar von Gerd DreßenMein Vater Hilarius war Briefträger. Er legte in seinem Leben gut eine halbe Million Kilometer auf dem Fahrradsattel zurück. Bei Wind und Wetter – und jeden Tag einen zwei Kilometer langen Berg hinauf mit reichlich Steigung und vielen Taschen voll Post auf dem Rad. Mein Vater wäre aufs E-Bike umgestiegen, hätte er damals vor Jahrzehnten eins kaufen können. Dabei war mein alter Herr kein Grüner (die gab’s noch nicht!). Dafür aber zeitlebens ohne Führerschein und mit Kartoffeln, Salat, Äpfel und Pflaumen aus dem eigenen Garten (ungespritzt, Ehrensache!) gut versorgt. Nein, er war auch kein Öko (auch die gab’s noch nicht!). Er war praktisch veranlagt und wusste, was gut war: Das E-Bike hätte ihm das Leben erleichtert. Deshalb hätte er dafür Geld ausgegeben. Punkt.
Warum ich das erzähle? Weil heute – ein halbes Jahrhundert später – immer mehr Menschen das E-Bike für eine ganz praktische Art der Fortbewegung halten. Ganz ideologiefrei. Einfach, weil es ihnen das Leben leichter macht.
Doch das E-Bike ist mehr als nur ein tolles Fortbewegungsmittel, das einem das Lächeln ins Gesicht zaubert. Es wird unsere Mobilität im Nahverkehr verändern. Wer dies sieht, muss kein Prophet sein. Bei unseren niederländischen Nachbarn hat bereits jedes siebte verkaufte Fahrrad den elektrischen Rückenwind. Weil E-Bikes einfach praktisch sind in Städten, in denen beim besten Willen kein Platz mehr fürs „Heiligs Blechle“ ist.
Wenn mit Bosch einer der weltgrößten Autozulieferer einen eigenen E-Antrieb fürs Fahrrad zur Serienreife entwickelt und auf den Markt bringt, dann ist das ein Zeichen: Hier vermuten Strategen ein lukratives Marktpotential für ausgereifte Technik, während im Automobilbereich noch eine Menge Entwicklungsarbeit zu leisten ist. Das Fahrrad ist hier der Vorreiter.
Die Wirtschaft reagiert. Die Politik wird es in absehbarer Zeit müssen. Denn es gibt zahlreiche Anzeichen dafür, dass die Bevorzugung des Autos ins Wanken gerät. Nicht nur, weil immer mehr Menschen im Nahverkehr auf rollende Blechbüchsen verzichten. Schneller Radverkehr (25 km/h!) verlangt nach praktikablen und ideologiefreien Antworten. Fußgänger und Radfahrer auf einem Weg? Unmöglich! Schlechte Radwege für Hochgeschwindigkeits-Radler? Da wird sich mehr und mehr Unmut regen.
Radspuren da, wo sie hingehören, nämlich auf die Straße, werden kommen, damit Radler im Tempo-30-Verkehr mühelos mitschwimmen können. Mein Vater Hilarius hätt’s begrüßt. Weil’s praktisch und sinnvoll ist.