Schmerzfrei Rad fahren: Nie mehr taube Hände und wehe Schultern

Die richtige Sattelneigung ist sehr individuell.

Die richtige Sattelneigung ist sehr individuell.

Entspannung ist eine Sache der Einstellung, auch am Fahrrad. Karsten Griesenbruch gibt unserem Autor wertvolle Tipps.

Der Allerwerteste schmerzt nach den ersten 20 Kilometern im Sattel, ebenso Schultern, Nacken oder Handgelenke. Auch die Finger werden langsam taub.

Viele Radler kennen diese Beschwerden, die so manchem den Spaß am Ritt auf dem  Drahtesel verleiden. „In der Regel sind zum Beispiel ein falsch eingestellter Lenker oder Sattel die Ursache für solche Probleme,“ weiß Karsten Griesenbruch aus 25-jähriger Erfahrung.

Ein normaler Mensch ist nicht genormt

Leicht angewinkelt sollen die Arme sein.

Leicht angewinkelt sollen die Arme sein.

In seinem kleinen Fahrradladen in Wevelinghoven (www.erftrad.de) rückt er mit moderner Messtechnik all jenen Haltungsproblemen zu Leibe, die entstehen, wenn standardisierte Fahrradrahmen der Massenhersteller auf normale, will heißen nicht normierte Menschen treffen: „Es gibt ihn nun mal nicht, den Norm-Menschen. Die einen haben lange Arme oder Beine, die anderen kurze. Manche sind in der Beweglichkeit durch Vorerkrankungen wie Arthrose eingeschränkt, bei anderen ist nur der Bauchspeck im Weg.“

Bitte Platz nehmen zum Vermessen

Wer zur Ergonomie-Beratung kommt, nimmt als erstes auf einer Art Spinningbike Platz,  dem so genannten Ergotec-Scanner – und kann seine Haltung auf dem Sattel wahrscheinlich zum ersten Mal im Leben selbst via Monitor betrachten! Bevor es nun ans Justieren geht, erst einmal die Frage nach den Radel-Vorlieben. Die reichen von aufrecht auf dem Hollandrad bis zu stark gebeugt und sportlich auf dem Rennracer. Danach kann’s losgehen mit den individuellen Einstellarbeiten an Pedalen, Sattel Lenker und Lenkervorbau. Griesenbruch nennt das „an den richtigen Schräubchen drehen, um möglichst nahe an die perfekte Position herauszukommen“. Manchmal geht es nur um den entscheidenden Zentimeter, der dem Körper Entlastung bringt. Die ermittelten Werte werden später aufs „echte“ Rad des Kunden übertragen.

Wer daheim selbst Hand anlegen will, sollte, so der Fahrrad-Fachmann, wie folgt vorgehen: Dreh- und Angelpunkt beim Einstellen auf die persönliche Ergonomie ist die Tretlagermitte. Von hier aus bemisst sich die passende Sattelhöhe, die erreicht ist, wenn die Ferse auf der untersten Pedalposition aufliegt und das Bein dabei durchgestreckt ist. Beim späteren Pedalieren ist das Bein dann leicht angewinkelt, weil man ja nicht mit der Ferse, sondern mit den Fußballen in die Pedale tritt, genauer gesagt mit dem Großzeh-Grundgelenk über der Pedalachse.

Nun geht’s an die Justierung des Knielots, indem der Sattel waagerecht nach vorne oder hinten verschoben wird. Alles passt, wenn der Knie-Knickpunkt (befindet sich direkt hinter der Kniescheibe) genau über der Pedalachse liegt und der Fußballen dabei auf dem Pedal steht. Karsten Griesenbruch: „Bis hierhin haben wir alles getan, damit der Radfahrer ergonomisch optimal treten kann. Jetzt verlassen wir die Physik und kommen zum individuell gefühlten Komfort.“

Die richtige Neigung ist Pflicht

Grundsätzlich gilt, dass mehr Kraft auf die Pedale bringen lässt, wenn der Oberkörper vorgebeugt ist. Es hat also tatsächlich nicht nur mit dem erhöhten Windwiderstand zu tun, dass der Hollandrad-Radler eher gemächlich daherkommt und der Rennradfahrer mit ordentlich Speed. Mal abgesehen davon, dass derjenige, der sonntagsmorgens nur zum Bäcker rollt, nun mal nicht so stramme Waden hat wie der durchtrainierte Radrennfahrer.

Beim Neigewinkel des Oberkörpers muss jeder seinen bevorzugten finden. „Aber gerade bei diesen Einstellarbeiten werden die meisten Fehler gemacht. Denn der Neigewinkel sollte nicht über einen höher oder tiefer gesetzten Lenker korrigiert werden, sondern über die Entfernung zwischen Sattel und diesem.

Hier hilft nur ein passender Vorbau für den Lenker,“ rät Karsten Griesenbruch. Grundsätzlich sollte der Lenker nicht mehr als zehn Zentimeter über dem Sattel stehen, da die Wirbelsäule ansonsten statt der gesunden S-Form einen Buckel macht. Wichtig sind auch ordentlich platzierte Griffe, so dass beim Fahren die Handgelenke in Verlängerung zum Arm geradebleiben und nicht abknicken.

Eine Fehlstellung führt unter Umständen schnell zu eingeschlafenen Händen, Nackenproblemen und schmerzenden Schultern. Und dann noch das für viele leidige Thema Fahrradsattel. Klar, jeder Popo ist anders. Und doch gibt es für den erfahrenen Zweiradmechaniker einige Grundsätze: Je aufrechter die Sitzposition, desto größer muss die Auflagefläche sein. Ein Sattel sollte nicht zu weich sein, da sonst der Allerwerteste einschläft. Und ein Ledersattel ist eher etwas für Vielfahrer, weil er mindestens 1.500 Kilometer „eingeritten“ werden muss und viel Pflege braucht. Griesenbruchs Tipp: „Einen neuen Sattel auf jeden Fall einen Tag Probe fahren, bevor man ihn kauft, denn Probleme tauchen in der Regel erst nach 30 Kilometern und mehr auf.“

Wer sein Rad auf seine persönlichen Körpermaße und Vorlieben umbauen lassen will, muss mit Kosten um die 100 Euro rechnen – inklusive eventuell notwendiger Umbauteile wie Lenker oder Vorbau.

Studie der Sporthochschule Köln: 90 Prozent fahren mit Schmerzen! Erschreckende Zahlen, die deutlich machen, wie wichtig ein ergonomisch richtig eingestelltes Fahrrad ist, lieferte eine Studie der Sporthochschule Köln aus dem Jahr 1999. Demnach sind rund 90 Prozent aller Mountainbike- und Trekkingrad-Fahrer regelmäßig mit Schmerzen unterwegs.
Auf Platz eins in der Hitliste der Problemmacher steht die Sitzfl äche, gefolgt von
Nacken-, Hand- und Finger- sowie Rückenbeschwerden. Dr. Achim Schmidt, Dozent für Radsport an der Sporthochschule Köln, warnt vor den Folgen: „Wer dauerhaft mit Schmerzen Rad fährt, schadet nicht nur seiner Gesundheit, sondern stellt auch schon bald seinen fahrbaren Untersatz in die Ecke!“

Übrigens: Weitere gut aufbereitete Infos zum Thema bietet die Website www.ergotec.de.

Erstveröffentlichung in meinRheinland, mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Dieser Beitrag wurde unter Ausgabe 2 / 2015, Technik veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

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